Frisch verliebt und frei von allen Sorgen machte ich
mich auf nach Addis Abeba. Dort war das Motorrad seit der letzten Tour sicher
abgestellt. Nach den üblichen Wartungen und zwei angenehmen Tagen
in der Hauptstadt ging es in das Hochland der Tigray. In freudiger Erwartung
eines Wiedersehens mit meiner Liebsten am Airport von Kairo blieben mir
gerade 14 Tage, um die Strecke Äthiopien - Ägypten auf dem Landweg
zu bewältigen. Ich war bedeutend schneller, wäre da nicht die leidige
Geschichte mit der Fähre nach Suez gewesen...
Ein gutes Dutzend Dreitausender machte ich an einem Tag. Kein Kunststück
im Äthiopischen Hochland, wo man sich permanent zwischen 2.800 und
3.200 Metern Höhe bewegt. Rasend schnell fuhr ich gen Norden. Vorbei
an ausgebrannten Panzern, Relikten aus dem jahrelang andauernden Bürgerkrieg,
grünen Feldern und schönen Menschen. Von Hungersnot keine Spur.
Immer wieder gab die Schotterpiste Blicke frei auf den ostafrikanischen
Grabenbruch. Mehrere hundert Meter tiefe Schluchten und Gräben. Unten
in der Ebene waren großflächig angelegte Plantagen auszumachen.
Daneben Felder von Kleinbauern mit verschiedensten Saaten und Früchten
besetzt. Eine wundervolle Landschaft. Viele kleine und große Seen
luden zum Baden ein. Ich übernachtete in kleinen Hotels in der Provinz
für wenig Geld. Beim Anblick des Ungeziefers am Boden und in der Luft
baute ich denn doch mein Zelt auf - im Hotelzimmer. Abgesehen von kurzen
Verschnaufpausen zum Essen oder Trinken saß ich permanent im Sattel.
Mit motorisiertem Gegenverkehr hatte ich auf dieser einsamen Strecke nicht
zu rechnen. Entsprechend flott driftete ich um die Kurven, jagte über
Hügel und durch Täler.
Faszinierendes Rift-Valley im Land der Tigray
Auf direktem Weg erreichte ich binnen zwei Tagen
das Eritrea. Die Landschaft war hier weniger spektakulär. Die Menschen
jedoch um ein Vielfaches freundlicher und hilfsbereiter. Ruhig und konzentriert
verrichteten Arbeiter und Bauern ihren Job. Bettelnde Kinder Fehlanzeige,
von einer aufdringlichen Bevölkerung keine Spur. So genoss ich die
sichere Zeit in Asmara. Das Motorrad parkte Tag und Nacht nahe der Independence
Avenue im Zentrum und blieb unberührt. Nicht einmal ein Spiegel wurde
verbogen. Während ich den feinen gemahlenen Hochlandkaffee aus den
original italienischen Espressomaschinen der Kolonialzeit in den großräumigen
Cafés genoss, erzählten mir Einheimische Geschichten von Krieg
und Zerstörung, von Frieden und Wiederaufbau. Letzterer war überall
sicht- und spürbar. Es ging voran in dem jungen Land und überall
ließ man durchblicken, dass gerade die Deutschen es sind, die sich
an der Aufbauhilfe stark beteiligen.
Westlich der Hauptstadt endet die Asphaltstraße und eine
schotterige Piste schließt sich an. In Barentu nächtigte ich
in einem Hotel mit großem, umzäunten Caféhof. Abends
wurde dort in alten Fässern Kohle und Holz entzündet. Auf der
Glut konnte sich jeder feines Fleisch grillen. Dazu gab es Salat aus feingehackten
Kräutern und Gemüse. Und frisches Brot. Köstlich ! Ich ließ
es mir schmecken. In Tesseney, nahe der sudanesischen Grenze, machte ich
Halt an einem Bewässerungsprojekt der GTZ. Eine liebevolle Familie
aus Norddeutschland hatte sich hier niedergelassen und lud mich zum Bleiben
ein. Ich gewann Einblick in die strukturellen Probleme des Ackerbaus, geografische
und geologische Hürden und, für mich interessant, das politische
Verhältnis zum Nachbarstaat Sudan. Der "Kleine Grenzverkehr" war in
den letzten Monaten praktisch zum Erliegen gekommen und man rechnete mit
der endgültigen Schließung der Grenze. Ich musste mich sputen
und reiste bereits am nächsten Morgen aus.
Hinter dem schwer zu findenden Checkout in Eritrea erwarteten
mich über 50 Kilometer Niemandsland. Der Zöllner deutete nur
mit ausgestreckter Hand gen Westen. Irgendwo da hinten befinde sich ein
Dorf, wo die Einreiseformalitäten abgewickelt werden. Noch weiter
westlich würde ich unweigerlich nach Kassala finden. Leichter gesagt
als getan, denn ich verirrte mich bereits nach wenigen Kilometern aufgrund
der Vielzahl der Spurenbündel in alle Himmelsrichtungen. Weit im Westen
ragten die ersten hohen, isoliert stehenden Felsenberge aus der Ebene.
Dort war Kassala, wie sich beim Blick auf die Landkarte bestätigte.
Doch wo war das Dorf mit dem sudanesischen Grenzposten, den ich nicht verfehlen
durfte ? Die Pisten waren nass und rutschig, die Spuren tief und ausgefahren.
Prompt fuhr ich mich in der Mitte des Nichts fest. Das Heck des Motorrades
steckte einen halben Meter tief im schweren Schlamm. Plötzlich kam ein
Pferdefuhrwerk um die Ecke. Ein eritreischer Bauer auf dem Weg vom Souk in
Kassala zurück in seine Heimat. Der Gaul war schnell ausgespannt und
mit dem Motorrad verbunden. Ein kurzer Hieb auf die Flanke des Pferdes und
ich stand wieder auf festem Boden. Glück gehabt. Wenig später stand
ich vor dem Polizeiposten, einer abgelegenen Hütte am Rande eines Dorfes.
Mein Pass wurde gestempelt, nicht jedoch mein Carnet. Dieser Dienst wurde
ausschließlich in Kassala geleistet. Aber es war Donnerstag Nachmittag.
Mit einer Öffnung der Behörden und Ämter war vor Samstag nicht
zu rechnen.
Ich war gerade mal eine Woche unterwegs und spielte heimlich mit
dem Gedanken, so schnell wie möglich nach Port Sudan zu gelangen,
um eine frühere Fähre nach Suez zu nehmen. Also Hand ans
Gas. Ich ignorierte die Behörden von Kassala und fuhr in einem Rutsch
die 600 Kilometer hinunter ans Meer. Müde und ausgemergelt kam ich
in Suakin an und musste feststellen, das Boot um einen Tag verpasst zu
haben. So quartierte ich mich in einem kleinen Hotel ein und harrte bei Temperaturen
um die 50 Grad der Dinge, die da kommen sollten. Vergeblich versuchte ich,
beim Zoll in Port Sudan mein Carnet eingestempelt zu bekommen. Man verwies
mich immer wieder nach Einsicht in meinen Pass an die Zollstation in Kassala.
Ich gab auf und freundete mich mit dem Gedanken an, den Zöllner bei
der Ausreise in Suakin bestechen zu müssen. Morgens und abends besuchte
ich die verfallene Altstadt und den Markt von Suakin. Ich ließ mir
angesichts der Temperaturen eine Djalabia schneidern, ein luftig-traditionelles
Kleidungsstück im Sudan. Bekleidet mir diesem "Nachthemd" fiel ich
weniger auf und konnte mich so freier und angenehmer bewegen. Die Tage vergingen,
bis endlich die "Al Maharousa" vor Anker ging.
Verschlammt im Niemandsland bei Kassala
Suakin war einst ein wichtiger Handelshafen
Traditionell bekleidet auf dem Roten Meer
Ich bezahlte meine Rechnung im Hotel und begab mich
zum Zollhof. Erst gegen Ende der Formalitäten fiel einem Beamten
auf, dass das Motorrad offiziell nicht eingeführt wurde. Eine Diskussion
begann. Gegen 50 US-Dollar "Strafe" wegen eines Verstoßes gegen
die Einfuhrbestimmungen ließ man mich ziehen und das Motorrad wurde
an Deck des unter Saudi-Arabischer Flagge fahrenden Schiffes gehievt. Ich
mischte mich unter die vielen Mekkapilger und suchte mir einen Schlafplatz
auf Deck. Ein Offizier des Schiffes bot mir beim Anblick meiner Situation
gegen einen geringen Aufpreis eine Kabine für die 3-tägige Überfahrt
an. Ein freundliches Angebot, welches ich zu schätzen lernte. Fortan
speiste ich im Salon und genoss die angenehmen Temperaturen im klimatisierten
Innenraum des Schiffes.
Über 12 Stunden lang lag das Schiff im Hafen von Jeddah.
Endlose Be- und Entladevorgänge wurden vollzogen. Erst am Abend
ging es weiter. Die acht Stunden Verspätung sollte die Fähre
auch auf der zweiten Hälfte der Fahrt nicht mehr aufholen. Ich sah
mich in Zeitnot, denn bereits am Abend des darauffolgenden Tages würde
meine große Liebe in Kairo landen. Wehe, wenn ich zur Abholung nicht
am Flughafen stand. Am kommenden Nachmittag erreichte die Al Maharousa den
Hafen von Suez. Erstmals konfrontiert mit ägyptischem Bürokratismus
und zudem in enormer Zeitnot machte ich einen Fehler: Ich ließ es
mir anmerken, dass ich es eilig hatte. Fortan wanderte mein Pass immer
wieder von ganz oben nach ganz unten. Ich wurde fast wahnsinnig vor Wut
und Verzweiflung. Erst mein Appell an die arabische Kultur, Religion und
Ehre zeigte Wirkung. Binnen 30 Minuten erhielt ich meine Kennzeichen, ein
gestempeltes Carnet und meinen Pass zurück. Ich konnte gehen. Aber
es war bereits 22 Uhr. In Windeseile raste ich von Suez über die Autobahn
nach Kairo. Selbst die Polizei konnte mich nicht stoppen. Nach einer mehrstündigen
Suche fand ich meine Liebste im Sheraton, dem ersten Hotel am Platz. Wir
hatten uns gefunden !!
Ein paar Stunden später, schlaflos und ein wenig betrunken,
dafür aber frisch gebadet und frisiert, verließen wir das
Hotel bereits vor Sonnenaufgang. Quer durch Kairo führte uns der Weg
direkt zu den Pyramiden. Anschließend frühstückten wir
in der Millionen-Metropole und beschlossen, angesichts des Verkehrs und
der vielen Menschen, dem Trubel zu entfliehen und zogen uns zurück
in die Einsamkeit des Sinai. Mit der Unterquerung des Suez-Kanals war meine
Transafrika offiziell beendet. Ich verließ den afrikanischen Kontinent.
Warten auf den Sonnenaufgang an den Pyramiden
Salziges Bad im Toten Meer bei En Gedi
Wundervolle Tage schlossen sich an: Katharinenkloster,
Mosesberg und nicht zuletzt heiße Tage im Mohamed Ali - Camp zu
Dahab. Eine Woche später badeten wir bereits im Toten Meer und mit
Jerusalem lernte ich eine neue Stadt kennen und lieben. Von Haifa aus
buchten wir eine Fähre nach Zypern und weiter über Kreta nach
Piräus. Nach einem Stückchen Land unter den Rädern beendeten
wir unsere Kreuzfahrt durch das östliche Mittelmeer in Venedig. Mangels
Fahrzeug-Versicherungsschutz reisten wir als grichische Touristen verkleidet
von Italien über Frankreich nach Deutschland ein. Nach 50.000 Kilometern
und zwei Jahren quer durch Afrika stand die Suzuki DR 800 Big Ende August
1995 wieder in der heimischen Garage.