N´Guigmi ist die erste Stadt auf dem Hoheitsgebiet des Niger, wenn man
die Route nördlich des Lac Chad zur Einreise wählt. Hier sind alle
Formalitäten zum legalen Grenzübertritt zu erle-digen. Polizei und
Zoll liegen am jeweils anderen Ende des Ortes; dazwischen ein Markt, Bars und
Kneipen und viele aufdringliche Einwohner. Das schmale, schlaglochübersähte
Asphaltband und die vielen Menschen auf der Straße erlauben nur langsames
Fahren zwischen den beiden Behörden. Eine funktionierende Tankstelle oder
eine Bank sucht man vergebens: getankt und getauscht wird auf dem Schwarzmarkt.
Oder man verlässt N´Guigmi auf dem schnellsten Weg Richtung Westen,
um alle Vorräte im Regionalzentrum Zinder im Zentralniger, etwa eine Tagesreise
entfernt, aufzufüllen. N´Guigmi aber ist gleichzeitig der südliche
Einstieg in eine der schwierigsten Saharapassagen und somit für uns zwangsläufig
Einreise- und Versorgungszentrum zugleich.
Die Behandlung bei der Polizei ist freundlich und zuvorkommend.
Die erforderlichen persönlichen Daten werden erfasst und im „Großen
Buch“ verewigt. Kosten- und Gebührenfrei. Nach weniger als einer
halben Stunde ist die Prozedur überstanden. Der Zoll ist am mitgeführten
Inventar und der Fahrzeugausrüstung nur mäßig interessiert.
Viel wichtiger scheint die Bezahlung der Einreisegebühren in Höhe
von 4.500 CFA (ca. 8 Euro) für unsere vierköpfige Familie.
Ein Betrag, um den es nicht zu Feilschen lohnt, obgleich er eher willkürlich
erhoben zu sein scheint. Dafür gibt es dann eine simple Quittung.
Das Carnet wird eingestempelt und angesichts des offensichtlichen Chaos
in unserem Geländewagen auf eine Sichtung des Fahrzeuginneren verzichtet.
Ein inoffizieller Mitarbeiter des Zolls bietet sich an, eine
Geldwechselstelle zu vermitteln und 150 Liter Treibstoff für
den nächsten Morgen zu organisieren. So können wir uns noch
am Abend mit den getauschten CFA-West ein Bierchen in der gegenüberliegenden
Kneipe gönnen und im Schutze des Zollhofes unsere weiteren Reisepläne
fixieren. Am frühen Vormittag finden wir uns wie besprochen am Rande
des Marktes ein, um den versprochenen Diesel aufzutanken. Mit verschiedensten
Behältnissen bewaffnet warten bereits ein halbes Dutzend Menschen
auf unser Eintreffen. Unser Mann vom Vorabend organisiert den Tankvorgang.
Literweise fließen undefinierbare Flüssigkeiten durch den
Einfüllstutzen in den Tank, während auf der anderen Seite
des Fahrzeuges Halbwüchsige versuchen, die Befestigungsgurte der
Sandbleche zu lösen. Total verschreckt sitzen unsere Kinder im Fahrzeug
und trauen sich nicht, das Fenster auch nur einen Spalt zu öffnen.
Die Stimmung ist unfreundlich, fast schon als aggressiv zu bezeichnen
und wir verlieren so langsam den Überblick über die Geschehnisse
rund um unser Auto. Unser Mann vom Zoll hat inzwischen das Sieb aus dem
Einfüllstutzen entfernt, um den Betankungsvorgang zu beschleunigen.
So fließen die letzten etwa 50 Liter ungefiltert ins Reservoir.
Immerhin stimmt am Ende das geforderte Entgelt für den Treibstoff.
Schnell sichern wir alle Ausrüstungsgegenstände, starten den Motor
und brausen davon. Wir lassen uns den Einstieg auf die Piste nach Bilma
zeigen. Am Ortsende empfängt uns die Sahara mit einer einspurigen,
tiefsandigen Fahrrinne. Aber die Menschen sind weg. Wir atmen auf.
Die Orientierung auf den ersten 100 Kilometern ist einfach.
Die tief ausgefahrene Spur ist nicht zu übersehen, sofern sie überhaupt
ein Verlassen erlaubt. Man fährt fast wie auf Schienen. Rechts
und links der Piste steht Busch- und Baumwerk. Es ist verhältnismäßig
Grün hier. Eine Ziegenherde kreuzt unsere Trasse. Die letzten
Nachzügler der Herde überqueren die Piste vor uns. Wir können
die Geschwindigkeit nicht reduzieren, laufen sonst Gefahr, gnadenlos
einzusanden. Ein Ausweichen ist ebenso unmöglich, da sich die
Spur immer mehr verengt. Diese Umstände werden dem letzten Tier
der Herde zum Verhängnis. Das rechte Vorderrad überrollt den
Ziegenbock, der uns unmittelbar vor das Auto gesprungen war. Die Kollision
war kaum spürbar und wir setzen unseren Weg unbeirrt fort. Auf eine
Diskussion mit einem sicherlich in der Nähe befindlichen Hirten
wollen wir uns nicht auch noch einlassen. Doch nach wenigen weiteren
Metern Fahrt kommt das Ende ziemlich abrupt. Der Vorderreifen ist luftleer
und gerade im Begriff, sich von der Felge zu lösen. Jäh kommen
wir zum Stillstand und ich betrachte verzweifelt den etwa 10 Zentimeter
langen Riss in der Karkasse des Reifens. Wie hat die Ziege das nur geschafft
?? Das Aufbocken des Toyotas gestaltet sich im Tiefsand als schwieriges
Unterfangen. Zunächst muss ein tiefes Loch gegraben werden, um den
Wagenheber und verschiedene Holzkeile unterstellen zu können. Langsam
hebt sich die Vorderachse und der defekte Reifen in die Luft und das
Rad wandert im Tausch in die Aufnahme an der Hecktür. Nach kurzer
Zeit setzen wir unseren Weg fort. Das ist noch mal gut gegangen.
Gut eine Stunde später oder etwa 20 Kilometer weiter erleiden wir unsere
zweite Panne. An einem kurzen sandigen Aufstieg verweigert das Auto plötzlich
seinen Dienst und bleibt ziemlich unmotiviert stehen. Der Motor brummelt zwar
weiterhin gesund im Stand, die Drehzahl will aber trotz Vollgas partout nicht
steigen. Was ist das ?? Ich tippe zunächst auf eine unzureichende Luftzufuhr,
öffne und reinige den Zyklon und den Luftfilterkasten samt Inhalt. Trotzdem
kommt der Motor nicht auf Touren. Bei durchgedrücktem Gaspedal stottert
und röchelt das Triebwerk und stirbt kurzerhand ab. Motor aus ! Jetzt fällt
es uns wie Schuppen von den Augen: der ungefilterte und möglicherweise
auch verdünnte Treibstoff aus den vielen Kanistern und Behältern der
Einwohner von N´Guigmi hat die beiden Treibstoffilter verstopft. Mühsam
erklimmen wir den Sandhügel, nachdem sich nach einigen Minuten im Stand
wieder genügend Diesel den Weg durch die zugesetzten Filter hat bahnen
können. Mit viel Gefühl für das Gaspedal und einem offenen Ohr
für die Geräusche des Motors schleppen wir uns bis in das letzte Dorf
vor dem Beginn der Einsamkeit der Wüste. Wir erreichen den Gendarmerieposten
von N´Gourti im Licht der untergehenden Sonne.
Die Polizisten beäugen das einzeln ankommende, lahmende
Touristenfahrzeug mit Skepsis. Unser Ansinnen, die Nacht in den Mauern
des Postens verbringen zu dürfen, wird dem Stationsobersten vorgetragen
und befürwortet. So fahren wir auf das gesi-cherte Gelände
ein und plazieren uns unter einem großen Baobab. Wir sind nicht
die einzigen Reisenden im Camp. Wenige Meter entfernt steht ein alter
Toyota FJ45, dessen beste Zeiten mindestens ein Jahrzehnt zurück
liegen müssen. Die drei Locals sind gerade im Begriff, einen
defekten Schlauch instand zu setzen und wir helfen bereitwillig mit Flicken
und Klebstoff aus. Dann wenden wir uns der Reparatur unseres Toyotas zu.
Die beiden Dieselfilter sind im Nu ausgewechselt und schon bald schnurrt
der Sechszylinder wieder fröhlich vor sich hin. Der Reifenwechsel
gestaltet sich als etwas zeitaufwendiger. Der lange Karkassenriss scheint
nur schwierig abdichtbar; einen Schlauch wollen wir aber zu diesem Zeit-punkt
noch nicht einziehen. So verpassen wir dem defekten Reifen ein riesiges
Pflaster aus Gummi und Zementkleber und er wandert im Tausch „alt gegen
neu“ auf das Fahrzeugdach. Der neue Pneu will zunächst nicht auf die
Felge passen und es bedarf der tatkräftigen Mithilfe von Frau und
Kindern, den widerspenstigen Reifen zu bändigen. Mit Hilfe eines Fahrradschlauches
werden die Luftritzen zwischen Felge und Karkasse abgedichtet und dank
des „Zündkerzenkompressors“ aus dem FJ45 ist innerhalb von Minuten
ein mit 3 Bar gefülltes, vollständiges Ersatzrad einsatzbereit.
Am abendlichen Lagerfeuer tauschen wir uns mit den Gendarmeristen und den Locals
aus. Letztere hatten gerade die Strecke aus Bilma hinter sich gebracht und sind
auf der Weiterreise nach Süden. Wie bereits im Zollhof von N´Guigmi
zerschlagen sich unsere Gedanken an adäquate Mitfahrer für die Ergdurchquerung
auch hier bereits innerhalb weniger Minuten. Die Einheimischen sind von unserem
Ansinnen, den Erg in einer Solofahrt zu durchqueren nicht gerade begeistert,
schätzen aber die auf uns zu kommenden Schwierigkeiten in den Dünen
als durchaus machbar ein und legen sich auf eine theoretische Fahrtzeit von
3-4 Tagen fest. Mit Händen und Füßen, ein paar Brocken Arabisch
und Französisch von jeder Seite, einem Stock und einer auf den Boden gemalten
Landkarte erklären uns die Locals anhand des Zeitplanes den Weg nach Bilma,
definieren Ein- und Ausfahrten in den Dünen, Passagen, beschreiben markante
Punkte, Oasen, Brunnen und die dortige Wasserqualität. Wir saugen all diese
Informationen dankbar auf und machen uns entsprechende Notizen. Die Gendarmen
ergänzen diese Informationen und unterrichten uns über derzeitige
Karawanenbewegungen zwischen Bilma und N´Guigmi. Deren Informationen zufolge
müssen wir am ersten, dritten und vierten Tag auf je eine Karawane treffen.
Wir übergeben dem Stationsführer eine Liste mit all unseren persönlichen
Daten. Er sichert uns eine polizeiliche Suchaktion zu, sofern wir uns nicht
binnen sieben Tagen bei der Gendarmerie in Bilma wieder anmelden. All diese
Informationen und Aussichten zerstreuen die Zweifel und festigen unseren Entschluss,
diese Solofahrt zu wagen. Am darauffolgenden Tag nehmen wir die ersten sandigen
Meter Richtung Norden in Angriff.
Das zweispurige Band durch den Sand ist nicht zu verfehlen. Nach ein paar Kilometern
stoßen wir in der flach hügeligen Landschaft auf einen weiteren Weg.
Die Spuren verteilen sich nahezu gleichmäßig auf die beiden Trassen.
Wir wählen den linken Strang in der Annahme, die Piste nach Nordnordost
stellen die nördlichste Umfahrung des Tschadsees dar und führt uns
zwangsläufig zurück in den Tschad. Wenig später treffen wir auf
zwei Einheimische, welche mit ihren Kamelen in Richtung N´Gourti unterwegs
sind. Eine kurze Frage und wir müssen feststellen, auf der falschen Piste
zu sein. Dieser Weg führt uns zum Massif Termit. Sicher auch ein lohnenswertes
Ziel, aber derzeit streben wir die Hauptrichtung Bilma an. Also kehrt gemacht
und an der Kreuzung angekommen biegen wir nun auf die richtige Spur ein. Die
Piste führt uns direkt zum ersten auf der Michelinkarte eingezeichneten
Brunnen. Wir rasten und ergänzen unsere Wasservorräte um ein paar
wenige Liter. Die Fahrzeugspuren enden hier und es beginnen die angekündigten
Sandebenen. Die noch leicht hügelige Landschaft wird immer flacher und
der leichte Bewuchs, welcher uns die erste Zeit begleitet hatte, weicht dem
Sand. Mit jedem weiteren gefahrenen Kilometer verringert sich die Anzahl von
Navigationshinweisen. Wir halten uns nordwärts und treffen auf einen weiteren
Brunnen. Hier lagert die erste uns angekündigte Karawane. Auch hier fassen
wir ein paar Liter verbrauchten Wassers. Mit Bleistift und Lineal bewaffnet
messe ich den Ort Agadem auf der mitgeführten russischen Generalstabskarte,
Maßstab 1:500.000, ein. Die Koordinate gebe ich in das GPS-Gerät
ein und wir erhalten somit wenigstens eine Navigationshilfe in der nun eintönigen
und flachen Land-schaft. Für die nächsten wenigen Kilometer können
wir noch den Kamelspuren der Karawane folgen. Dann verschwinden auch diese.
Der leichte Wind macht die Tracks innerhalb kürzester Zeit unsichtbar und
wir haben das Gefühl, über unberührte Sandfelder zu fahren. Wir
halten uns nun an die Richtung, welche uns der Pfeil des GPS vorgibt. Die Fahrt
ist flott, der Sand trägt unseren Toyota und erlaubt Geschwindigkeiten
über 80 km/h. Der Horizont wird in allen Richtungen durch einen waagrechten
Strich dargestellt. Das Azurblau des Himmels und das matte Gelb der Erde grenzen
sich voneinander ab.
Nach über 100 Kilometern erblicken wir erstmals wieder
Fahrzeugspuren. Der Sand wird weicher und wir reduzieren den Luftdruck
nochmals um ein halbes Bar. Die Spuren verlaufen in unsere Richtung.
Dort, wo die Spuren tief sind, lauern weiche Passagen. Wir versuchen,
uns parallel zu den sichtbaren Reifenabdrücken zu halten und fahren
uns prompt auf einer Ebene fest. Die Sandbleche kommen zum Einsatz. Nach
etwa 20 Metern haben wir wieder festen Untergrund unter den Rädern.
Es ist eine schweißtreibende Angelegenheit und wir entschlie-ssen
uns, am nächsten lohnenswerten Platz unser Nachtlager aufzuschlagen.
Am Horizont tauchen langsam wieder Konturen auf. Erhebungen, kleine
Dünengürtel und Berge. Wir halten darauf zu und finden im
Schutz einer isoliert stehenden Dünenkette ein nettes Plätzchen
zum Übernachten.
Unsere Tagesleistung beträgt weit mehr Kilometer als erwartet
und wir sind stolz, bereits ein gutes Drittel des gesamten Weges hinter
uns gebracht zu haben. Unseren Kindern kommt die frühe Rast in
dieser übersichtlichen Landschaft zugute. Der Ball wird ausgepackt
und die Beiden können nach Herzenslust klettern, rennen und springen.
Nach dem Abendessen entfachen wir ein kleines Feuer mit dem wenigen
Holz, welches wir noch aus N´Gourti mitgenommen haben. Der Wind
ist abgeflaut und wir geniessen die erste Nacht seit langer Zeit in
der Stille und Einsamkeit der Sahara. Das milde Februarklima sowie der
sternenklare Himmel lassen uns lange sitzen und unseren Gedanken nachhängen.
Erst als die letzte Glut des Feuers erloschen ist und wir zu frösteln
anfangen, ziehen wir uns zur Nachtruhe in das Fahrzeug zurück.
Noch am frühen Vormittag ist Fort Agadem erreicht. Eine
Ansammlung von Palmen, die spärlichen Ruinen eines Kolonialforts
und ein Brunnen mit unangenehm brackig schmeckendem Wasser. Plötzlich
stehen ein paar Menschen vor uns und geleiten uns zu deren Strohhütte,
welche etwas abseits steht. Wir werden zum Tee geladen und können
diese Einladung nicht ausschlagen. Eine Stunde lang verweilen wir in
der Gesellschaft der Nomadenfamilie. Dann geht es endlich weiter. Die
wenigen Fahrzeugspuren, die nun im Bereich der Oase wieder erkennbar
sind, zielen alle nach Norden auf eine große Düne zwischen
zwei Felsen zu. Das scheint die Ausfahrt zu sein, auf welche die Locals
in N´Gourti besonders hingewiesen haben. Wir wurden immer wieder
ermahnt, diesen auf den ersten Blick schwierigsten Weg nach Norden
zu wählen, um so andere Dünengürtel zu umfahren. Wir
vertrauen auf die Worte und steuern den sandigen Anstieg an. Wenige Augenblicke
später stehen wir hoch oben auf der Düne und blicken hinunter
nach Agadem. Vor uns tut sich eine weitere Sandautobahn auf und wieder
einmal brausen wir, die nächste eingemessene Koordinate ansteuernd,
über eine konturlose Ebene. Wenige Kilometer vor Dibella, der nächsten
Oase mit Brunnen, überholen wir eine weitere kleine Karawane, die
unbeladen in unsere Richtung zieht. In der verlassenen Oase selbst suchen
wir kreisförmig ausschwärmend den eingezeichneten Brunnen.
Die Karawane kommt wieder in Sichtweite, schwenkt kurz vor der aufgelassenen
Palmerie ab und steuert zielsicher einen ausserhalb liegenden, von Dünen
umrahmten Punkt in einer Senke an: den Brunnen !
Die auf der Michelinkarte verzeichnete Piste beginnt etwa 50
Kilometer nördlich von Dibella schlangenlinienförmig auszuschwenken.
Die in der Karte nur grob eingezeichneten Dünenverläufe bekommen
plötzlich eine klare Hauptverlaufsrichtung genau gegen unsere
Fahrtrichtung. Auch in der russischen Generalstabskarte vermehren sich
die Dünenzüge mehr und mehr auf dem Weg nach Norden. Verschiedene
Pistenvarianten sind mit schmalen Linien eingezeichnet. Als wir am 18.
Breitengrad ankommen und die Anschlusskarte hervorkramen, verschlägt
es uns bereits beim ersten Blick darauf die Sprache. Die Landschaft beginnt,
sich zu verändern. Und genau in diesem Augenblick bekommen wir
das auch in der Realität zu sehen und zu spüren. Die ersten
Dünenzüge versperren uns den Weg und müssen überquert
werden. Jede Dünenpassage stellt eine neue Herausforderung dar.
Die Dünen sind in der Höhe leicht zu meistern. Auch die Passagenbreite
beträgt regelmäßig weniger als 100 Meter. Schwierig sind
die in den Passagen oftmals versteckt liegenden, steil abbrechenden Trichter
sowie die unstrukturierte Verschachtelung der Dünen. Auf der Suche
nach einer Unterbrechung innerhalb des Dünengürtels fahren
wir mehrfach einige Kilometer an den Dünen entlang. Jedes Mal müssen
wir feststellen, dass die Dünenzüge unendlich zu sein scheinen.
Daher reift schnell der Entschluss, die Passagen ab sofort nahezu rechtwinklig
und auf dem kürzesten Weg anzufahren und zu überqueren. Der
Vorteil des Sparens von Treibstoff überwiegt den Nachteil des zeit-
und kraftaufwendigen Abgehens der Passagen. Nach dem ersten Dutzend Dünenüberquerungen
stellen wir japsend die Wanderungen über die Dünenkämme
ein und fahren nun direkt drauf los. Nach jeder Dünenpassage erwartet
uns eine mehrminütige Verschnaufpause, in welcher die mehrere hundert
Meter breiten, auto-bahnähnlich anmutenden Gassis überquert
werden. Dann folgt die nächste Passage.
Übung macht den Meister. Dieses Wechselbad von steigendem und sinkendem
Adrenalinspiegel wiederholt sich dutzende von Malen, bis wir am frühen
Abend an einer Dünenpassage anhalten und damit das „Achterbahntrauma“
für einige Zeit einstellen. Während ich beim Einmessen unserer Position
in die Karte feststelle, dass wir auf unserem Weg nach Zoo Baba zu weit nach
Osten abgekommen sind und uns jenseits der eingetragenen Pisten befinden, zieht
die dritte angekündigte Karawane etwas weiter westlich an uns vorbei. Alle
Prophezeiungen der Einheimischen in N´Gourti scheinen sich zu bewahrheiten:
die Brunnen führen Wasser, die Strecke ist fahrtechnisch machbar, wobei
der Schwierigkeitsgrad auf den letzten 200 Kilometern erheblich steigt und den
angekündigten Karawanen sind wir bereits begegnet. Fragt sich nur noch,
ob wir auch wirklich in Bilma von der Gendarmerie erwartet werden? Wir werden
es sehen, vielleicht Morgen schon. In der Nacht schlägt das Wetter um.
Der Wind frischt auf und die Sicht ist am frühen Morgen auf ein paar hundert
Meter reduziert. Das Blau des Himmels der letzten Tage ist einem undefinierbaren
Grau-Gelb gewichen, die Sonne steht wie eine matte Scheibe im Osten. Wir brechen
auf und folgen zunächst für eine Weile einem dieser langen Gassis,
um uns wieder auf Kurs zu bringen.
Zoo Baba wollen wir nicht verfehlen. Die Oase mit seinen temporär
bewohnten Zeribas fin-den wir auch ohne Karte. Eine unübersehbare
Felsenformation im Osten kündigt sich bereits von weitem an. Die
Zeribas selbst scheinen derzeit unbewohnt. Ohne viel Zeit zu verlieren
verlassen wir diesen Platz und schlagen einen Bogen südlich um
die Felsen herum, um dann wieder nach Norden einzuschwenken. Ganz wie
uns von den drei Locals geraten wurde. Mittlerweile haben wir die steinigen
Ausläufer eines Plateaus erreicht, welches in Nord-Süd-Richtung
verläuft und uns nun bis Bilma begleiten wird. Zunächst sind
es nur einzelne Zeugenberge, die uns die Orientierung erleichtern. Mit
jedem Kilometer weiter nach Norden verdichten sich die Felsen und zwingen
uns zu der einen oder anderen Querfeldeinfahrt über Geröll und
vor allem über spitze Steine. Dazwischen meistern wir weiterhin die
obligatorischen Dünenpassagen. In einer Senke beginnt der Motor des
Toyotas plötzlich zu ruckeln und geht aus. Plötzlich ist es mucksmäuschenstill.
Alle halten wir gespannt den Atem an. Ich betätige die Zündung.
Das Auto streikt. Schon wieder die Filter zugesetzt ?? Ich schaue auf
den Kilometerstand und beginne zu lächeln. Etwa 650 Kilometer sind
wir bereits unterwegs und wir stehen mit der Schnauze nach oben am Hang.
Der Hecktank zeigt fast leer an, in dieser Position befinden sich jedoch
die letzten Liter Treibstoff ganz hinten im Tank und die Pumpe zieht zwangsläufig
nur noch Luft an. Ich schalte das Relais zum Haupttank um und bereits
nach zweimaligem Orgeln springt der Motor wieder an. Glück gehabt
! In einem solchen Moment werden wir uns aber des Risikos einer solchen
Solofahrt bewusst. Ein kurzer Dank gen Himmel und wir nehmen die nächste
Passage im ersten Anlauf.
Seit Zoo Baba finden wir auf unserem Weg
immer wieder ver-einzelt Fahrzeugspuren. Je näher wir unserem
Zielort Bilma kommen, um so mehr verdichten sich diese Spuren und bilden
eine kleine Piste. Die letzten 50 Kilometer kommen wir flott voran
und früh, viel zu früh erblicken wir die Palmerien der Oase
Bilma. Geschafft !! Wir fahren in den Ort ein und halten auf das etwas
erhöht liegende Fort zu, in welchem die Gendar-merie Nationale residiert.
Der Wachhabende kommt aus dem Schatten eines Baumes im Hof auf uns zu.
Er beäugt uns kri-tisch, geht einmal um das gesamte Fahrzeug herum,
begrüßt uns dann mit Namen und fragt sofort nach den zwei mitreisenden
Kindern. Die beiden schlummern derweil im Fond des Toyotas. Beruhigt reicht
er mir ein Papier, auf welchem alle unsere in N´Guigmi hinterlassenen
Personaldaten fein säuberlich aufge-schrieben standen. Die Kommunikation
funktioniert – auch im letzten Winkel des Niger. Wir bedanken uns freundlich
und lassen unsere Pässe abstempeln. Am Ortsende erblicken wir erstmals
die sagenumwobene Ténéré. Schnell brausen wir hin-ein
in die nächste große Sandsee. Wie immer auf der Suche nach
einem neuen Abenteuer...
Text/Bilder: Ralf Beck, Februar 2000/Herbst 2001
Veröffentlichungen von Text und Bildern, auch in Auszügen,
nur durch den Autor/Fotografen.