Schmugglerspuren

Nach knapp 10 Jahren innenpolitischer Unruhen hat sich die Lage im zentral gelegenen Maghrebstaat Algerien oder auch D´jazair , wie die Einheimischen ihr Land gerne bezeichnen, wieder  weitgehend beruhigt. Pressemeldungen von raubmordenden Fundamentalisten und Massakern in Dörfern konzentrieren sich seit jeher auf den Norden und in wenigen Ausnahmen auch auf das Zentrum des drittgrößten Staates in Afrika. In der algerischen Sahara hingegen, welche von erfahrenen Reisenden mehrheitlich als schönster und abwechslungsreichster Teil der größten Wüste der Erde bezeichnet wird, gehen die Uhren seit Jahrhunderten anders. Politik ist Nebensache; wichtiger ist der tägliche Kampf ums Überleben in der ariden Region mit jährlichen Niederschlagsmengen von 0-100 mm/qm. Priorität genießt die Frage nach dem Fruchtstand der Dattelpalme oder dem nächsten herbeigesehnten Regenguss. Trotz der immer noch bestehenden latenten Gefahr politisch oder kriminell motivierter Eigentums- oder Gewaltdelikte zum Nachteil von Ausländern zieht es wieder mehr und mehr Touristen in die Einsamkeit des algerischen Südens, was dieser vernachlässigten Region erstmals seit einer Dekade wieder einen spürbaren finanziellen Aufschwung in Verbindung mit verbesserten infrastrukturellen und persönlichen Grundlagen beschert.


      Südlich der Linie Djanet-Tamanrasset entdeckt man mit dem eigenen Fahrzeug fantastische    
      Landschaften entlang der nigrischen Grenze.

Unsere diesjährige Reise führt uns in unserem weissen Buschtaxi, einem Toyota Landcruiser HZJ75, tief hinunter an die nicht sichtbare, mehrere hundert Kilometer lange Grenzlinie Algeriens zu seinem südlichen Nachbarn Niger. In der dortigen Region befindet sich unter anderem das Tassili du Hoggar Gebirge, ein Massiv vulkanischen Ursprungs, das nicht aufgrund seiner besonderen Höhe Eingang in die Literatur dieser Welt gefunden hat. Es sind die oftmals skurilen Fels- und Landschaftsformen, die in keinem qualitativ hochwertigen Bildband über die Sahara fehlen dürfen. Bizarre Basaltschlote ragen mehrere duzend Meter in die Höhe und isoliert stehende Felsen trotzen schon seit Jahrtausenden den Winden und Sandstürmen der Region. Von der Erosion geformt muten diese Steine an wie überdimensionale Pilze, durch welche man sich in seinem Miniaturauto hindurchschlängelt und seinen Weg sucht. In wenigen Gueltas sammelt sich das knappe Wasser und gewährleistet den vorbeikommenden Lebewesen insbesondere in der größten Trocken- und Hitzephase eine Überlebensmöglichkeit. Aufgrund der äusserst geringen Besiedlungsdichte finden sich auch nur wenige Brunnen, die für eine dauerhafte Niederlassung des Menschen grundlegend erforderlich wären. Selbst für die traditionellen Tuareg, deren Stämme im Süden Algeriens dominieren ist diese Gegend, abgesehen von der landschaftlichen Schönheit, wenig ergiebig und die „Ritter der Sahara“ weichen mit ihren Familien und den Herden in die weiter nördlich liegenden hohen Bergzüge des Hoggargebirges aus, in dessen Herzregion ausreichender Niederschlag für Vegetation sorgt und das Überleben sichert.

In den letzten Jahrzehnten ist das gesamte Gebiet jedoch für ein anderes Klientel sehr interessant geworden. Waren es früher die kleinen Handelskarawanen, die durch das Tassili du Hoggar zogen, so sind es heute motorisierte Schmuggler, welche die kaum wirkungsvoll zu überwachende Grenze zwischen Niger und Algerien überqueren, um die in den Freihäfen Westafrikas billig erworbenen Zigaretten gewinnbringend in Algerien zu veräußern. Neben dieser neuzeitlichen Fracht werden auf diesem Weg wie früher auch schon illegale Schwarzafrikaner hinauf an die Mittelmeerküste geschleust, wo sie sich eine bessere Zukunft erhoffen. Für viele von ihnen endet diese abenteuerliche Fahrt jedoch schon in der zentralen Sahara und nicht wenige finden auf dieser Reise den Tod oder landen in den Gefängnissen der Wilayas, den regionalen Handels- und Verkehrszentren Algeriens. Die Spuren von Schmugglern oder Menschenhändlern sind im Tassili du Hoggar allgegenwärtig und auch wir sind uns von der ersten Minute unserer Expedition an um das Risiko einer Begegnung mit kriminellen Elementen bewusst und entsprechend wachsam und vorsichtig. Nicht umsonst hat die von uns gewählte Route den Beinamen Schmugglerpiste erhalten.

Schmuggler oder nicht ?? Wir haben nicht gefragt, die beiden aber auf Anfrage hin mit einem Kanister Wasser versorgt.

Unsere Expedition nimmt in Djanet, im äussersten Südosten des Landes gelegen, ihren Ausgang. In der „Perle der Oasen“, wie die Stadt nicht nur von den Einwohnern bezeichnet wird, decken wir uns auf dem Markt mit Vorräten für die Reise ein. Wir erwerben frisches Kamelfleisch, Gemüse, Datteln sowie Brot und nicht zuletzt Teigwaren und mehrere Dosen Sardinen, die unseren Speiseplan erweitern und die aus Europa mitgebrachten Vorräte ergänzen. Zuletzt decken wir uns an der örtlichen Tankstelle noch mit ausreichend Diesel ein, um die geplanten 1300 Kilometer der Südumfahrung ohne Engpass bestreiten zu können. Randvoll bepackt bis unter das Fahrzeugdach, Unterflur mit knapp 300 Litern Treibstoff und 100 Litern Wasser beladen treffen wir auf dem Campingplatz im Zentrum der Oase zwischen den Zeribas auf einige Touristen und einheimische Reiseunternehmer, die uns freundlich über die aktuelle Sicherheitslage informieren. Alle geben uns für die bevorstehende Etappe Entwarnung. In den letzten Jahren ist es nicht zu bekannt gewordenen Raubüberfällen oder gar Tötungsdelikten zum Nachteil von Touristen gekommen. Die Tuareg, seit Anfang der 90er Jahre größtenteils wieder befriedet, haben auf algerischer Seite keine solche Straftaten mehr begangen und verdingen sich nun mehr und mehr als versierte Reiseguides, welche die Landschaften und Gegenden wirklich am besten kennen. Auch die örtliche Station der Gendarmerie Nationale weiss über Kriminalität auf den Strecken zwischen Djanet und Tamanrasset nichts Aktuelles zu berichten und so verbringen wir den letzten Abend und die Nacht im Schutz der Lehmziegelmauern, die den Campingplatz umschliessen.

Am nächsten Morgen ist der Himmel wolkenverhangen und es weht ein starker Wind aus Südwest. Schemenhaft huschen vermummte Gestalten über den Hauptplatz von Djanet und suchen Schutz vor dem aufgewirbelten Staub, welcher der gesamten Oase den Atem nimmt und alle Tätigkeiten zum Erliegen bringt. Wir verzichten auf den morgentlichen Besuch im Café und verlassen trotz der widrigen Wetterbedingungen die sichere Stadt. Auf den freien Flächen der Serir, welche sich hinter den letzten Felsen des Tassili n´Ajer nach Westen hin auftut, bläst uns der Wind frontal entgegen und erlaubt trotz Vollgas nur noch Geschwindigkeiten um 50 km/h. Die Luft ist so sehr mit Sand angereichert, dass sich die Sichtweite auf wenige dutzend Meter beschränkt. Wir können die Sanddünen des Erg Admer, dessen Durchquerung unser erstes Ziel darstellt, noch nicht sehen. Der Sand aber, der selbst durch die kleinsten Ritzen ins Autoinnere gelangt, stammt zweifelsfrei von den Dünen des Erg, welcher sich unmittelbar vor uns befinden muss. Die unsichtbare Wand aus Sand kommt stetig näher, wenngleich wir die Dünenberge noch nicht sehen können. Wie Nadelstiche ist das Gefühl, wenn die Körner auf der Haut auftreffen. Schnell vermummen wir uns mit Tüchern und schützen uns so gegen diese unangenehme Naturgewalt. Noch bevor wir in den Erg eintauchen, reduzieren wir den Luftdruck unserer Reifen erheblich, um mehr Auflagefläche und somit mehr Tragfähigkeit auf dem weichen Untergrund zu erhalten. Kurze Zeit später erreichen wir die zum Ergeinstieg avisierte Stelle und erblicken erstmals schemenhaft hohe Sanddünen. Von den vielen Spuren, welche uns durch diesen Abschnitt geleiten sollten, ist jedoch nichts zu erkennen. Der Sturm hat alles innerhalb kürzester Zeit verwischt und unkenntlich gemacht. Allerdings gestaltet sich die Durchquerung des Erg fahrtechnisch als wesentlich einfacher als gedacht und wir nehmen diese Alternative dankend an. An wilde Dünenüberquerungen wagt niemand von uns angesichts des schlechten Wetters zu denken. Selbst die letzte hohe und weiche Düne vor dem Ausstieg aus dem Erg, welche von anderen Touristen als nicht ganz einfach beschrieben wurde, meistern wir im ersten Anlauf im Blindflug und stehen bereits kurze Zeit später am Ausgang der Sanddünen und blicken weit nach Westen.

Ist man nur einen Moment unachtsam, kann das in den Dünen fatale Folgen haben. Aus dieser misslichen Lage konnten wir uns mit zwei Sandblechen und ein bißchen Schaufelei schnell wieder befreien.

Der Sturm hat sich nicht gelegt, allerdings bläst der Wind nun über die flache Vorebene des Erg Admer und führt so wesentlich weniger Sandpartikel mit sich. Nach einer mehrstündigen Fahrt über die Ebene zeichnen sich am Horizont die ersten Berge schemenhaft ab. Seit unserem Austritt aus dem Erg müssen wir permanent Spurenbündel nahezu rechtwinklig kreuzen. Aufgrund der gewaltigen Anzahl von Spuren wage ich von einer regelrechten Autobahn zu sprechen. Ein Blick auf die Karte verrät uns Ausgangs- und Endpunkt dieser breiten Pisten: Chirfa im Niger und das Tuaregdorf Zaoutallaz, etwa einhundert Kilometer nördlich von unserer Position. Wir überqueren hier also die ersten Schmugglerspuren auf unserem Weg hinüber nach Tamanrasset und wenden unsere Aufmerksamkeit mit immer besser werdenden Sichtverhältnissen möglichen weiteren Fahrzeugen ausser unseren beiden Toyotas auf der Ebene zu. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir mit dem Ti-n-Ghoras die ersten Vulkankegel und fahren die letzten Kilometer des Tages auf schwarzem, spitzem Gestein hinüber zu einem sicheren und windgeschützen Plätzchen für die Nacht. Die Sonne steht als milchige Scheibe am Horizont und die schwarzen Berge um uns herum wirken im Gegenlicht noch gespenstischer. Die letzten paar hundert Meter mit reduziertem Luftdruck auf dem Untergrund mit seinen spitzen Steinen bescheren uns einige scharfe Schnitte in der Karkasse zweier Reifen. Der Wind lässt nach Sonnenuntergang merklich nach und erlaubt sogar ein Abendessen im Freien sowie eine ausgiebige Fahrzeuginspektion. Auch unser Zelt wagen wir trotz der immer noch bestehenden Gefahr eines weiteren Sturmes im Windschatten des Autos aufzubauen. Im Laufe der Nacht ziehen die Wolken jedoch ab und der unvergleichbare Sternenhimmel der Sahara kommt erstmals zum Vorschein. Es ist Neumond und die Milchstraße zieht sich klar erkennbar über das Firmament. Lange liege ich noch wach und betrachte die eine oder andere Sternschnuppe. Nicht aber, weil ich nicht müde bin, sondern weil meine Augen wie Feuer brennen wenn ich sie schliesse. Trotz schützendem Tuch und Sonnenbrille haben so viele Sandkörner den Weg in meine Augen gefunden, dass es nun einiger Zeit und Tränen bedarf, die Fremdkörper wieder zu beseitigen.

Am darauffolgenden Morgen stehe ich sehenden Auges auf und bestaune den Sonnenaufgang über der Admerebene. Der Himmel ist blau, die Luft ist klar und nichts mehr deutet auf den heftigen Sturm des vergangenen Tages hin. Zwischen den ersten Bergen bündeln sich viele Spuren entlang eines Wadis und verlaufen in unsere Richtung. Wir folgen einer recht breiten Trasse und stoßen bereits nach wenigen Kilometern auf den Brunnen von Tiririne. Glasklares, kaltes Wasser fördern wir mittels mitgebrachtem Seil und Eimer aus der geringen Tiefe von zwei Metern zutage, erfrischen und befreien uns von dem Sand an unseren Körpern. Um die Schwierigkeit der Wasserbeschaffung im Tassili du Hoggar wissend füllen wir ein letztes Mal unsere Wasservorräte auf, bevor wir uns dem Wadi folgend auf den Weg machen. Eine Woche können wir nun, vorausgesetzt keine schweisstreibenden Pannen oder Unterbrechungen, autark die Region erforschen. Das Oued Tadant, welchem wir nun folgen, ist übersäht mit Reifenspuren verschiedenster Fahrzeugtypen. Die Piste dient nicht nur Schmugglern, sondern auch Touristen und dem Militär als Verbindungstrasse hinunter zum Stützpunkt von In Azaoua an der nigrischen Grenze. Verständlich, dass viele Spuren das Wadi ziemlich unmotiviert und ohne erkennbaren Grund an den unmöglichsten Stellen wieder verlassen. In dieser Gegend vermeidet nahezu jeder Fahrer den freiwilligen Kontakt mit anderen Automobilen und sucht nach Erkennen von Fremdfahrzeugen lieber ein schnelles Versteck hinter einem kleinen Hügel oder einem abgestorbenen Baumstumpf. Wer gut ist und wer böse verschwimmt in dieser Gegend und man tut gut daran, keinem menschlichen Wesen mehr zu vertrauen als unbedingt notwendig. Es ist ein offenes, nur sporadisch überwachtes Grenzgebiet, in welchem wir uns bewegen und auch wir passen uns den Gepflogenheiten an und versuchen, möglichst wenig aufzufallen. Schon nach kurzer Zeit einer rasanten Fahrt durch das Wadi verlassen wir den Hauptspurenstrang und folgen einigen wenigen Tracks in das Oued Honadj. Wir wollen die Gegend auf einer landschaftlich interessanteren Variante durchfahren und je tiefer wir in die Gebirgswelt eintauchen, umso mehr sind wir von den Bergen um uns herum beeindruckt. Trotz intensiver Suche finden wir den Brunnen des gleichnamigen Oueds nicht. Auch die elektronische Navigationshilfe GPS, gepaart mit einem Laptop und entsprechenden Landkartensoftware lässt uns zwar die theoretische Position des in der Karte verzeichneten Brunnens per Mausklick exakt bestimmen, in der Realität findet sich das kühle Nass jedoch nicht ein. Auch eine einstündige Suche nach dem Brunnen oder zumindest einem Anhaltspunkt in der näheren und weiteren Umgebung der Position bleibt erfolglos. Da auch die normalen Hinweise auf Wasser, wie gebündelte Tierspuren oder Reifenspuren von Einheimischen gänzlich fehlen beschliessen wir, den Brunnen als nicht existent anzusehen und von der Landkarte zu streichen.

Wie das Tor, welches Ali Baba in dem Märchen aus 1001 Nacht den Zugang in die Räuberhöhle ermöglichte, erblickten wir einen kaum sichtbaren Einstieg in eine kleine Schlucht. Lange habe ich zu Hause vor verschiedensten Generalstabskarten gesessen und nach einer Möglichkeit der Durchquerung eines langgestreckten Höhenzuges gesucht, welcher unsere geplante Reiseroute versperrt. Nun vor Ort war alles ganz einfach. Vorbei an einer großen Dornakazie, die den Einstieg fast unsichtbar macht, folgen wir einem kleinen Trockenflussbett mit unaussprechlichem Namen hinein in eine kurvige Schlucht, welche an manchen Stellen nur einem Fahrzeug die Durchfahrt ermöglicht. Bereits nach wenigen Kilometern öffnen sich die Felsen und wir stehen auf der anderen Seite des Massivs und können
unseren Weg fortsetzen. Nach weiteren zwei ähnlichen Durchgängen erreichen wir mit dem Oued Takalous ein breites Wadi, in welchem uns ein breites Spurenbündel schnell nach Süden bringt. Der episodisch Wasser führende Fluss mündet schliesslich wieder in das am Vormittag von uns verlassene Oued Tadant ein und wir folgen diesem in rasanter Fahrt, bis wir einen Dünengürtel direkt neben dem Wadi erreichen und unser Nachtlager aufschlagen.

Navigieren in der Sahara erfordert ständige Konzentration und auch mal einen Blick auf die Landkarte. Hier bei der abendlichen Lagebesprechung und Etappenvorplanung.

Da in den Trockenflussbetten immer wieder abgestorbene Hölzer zu finden sind, haben wir über den Tag genug Material gesammelt, um ein kleines Lagerfeuer zu entfachen, an welchem wir uns den gesamten Abend wärmen. Die Nacht beginnt ruhig und alle schlafen in der typischen Stille der Sahara schnell ein. Um halb zwei Uhr nachts wache ich von einem Geräusch auf. Ob ich wache oder träume wage ich nicht zu beurteilen, aber was ich höre sind Motorengeräusche eines benzingetriebenen Fahrzeugs. Der Wagen scheint schnell zu fahren, der Fahrer schaltet immer wieder zwischen zwei Gängen, um keine Geschwindigkeit zu verlieren und die Geräusche werden merkbar lauter. Wir lagern nur wenige hundert Meter neben der Piste und ein aufmerksamer Beobachter erkennt unsere Anwesenheit möglicherweise an den frischen Fahrzeugspuren, welche in die Dünen hinein führen. Ich stehe schnell auf und vergewissere mich, dass das Feuer gelöscht und keine weiteren Lichtquellen in Betrieb, die unsere Anwesenheit verraten können.  Die sehr schmale Sichel des Mondes erhellt die Umgebund nur unmerklich und ich steige schnell auf einen Düne und sehe ein einzelnes Scheinwerferpaar durch die Nacht huschen. Das Fahrzeug kommt von schräg vorne auf uns zu und folgt augenscheinlich dem Verlauf der Trasse im Oued. Das Scheinwerferlicht erreicht uns glücklicherweise nicht und der Geländewagen reduziert keine Geschwindigkeit, als er an unserem Spurenabzweig vorbeifährt. Von diesem Moment an sehe ich nichts mehr. Von hinten ist das Auto gänzlich unbeleuchtet und ich höre nur noch, wie sich das Motorengeräusch entfernt. Ich steige beruhigt von der Düne und berichte unten von meinen Wahrnehmungen. Niemandem ist die Akustik des vorbeifahrenden Fahrzeuges verborgen geblieben. Wir hinterfragen nicht lange das Wer und Warum da für uns klar ist, dass das einer der Schmuggler gewesen sein muss, die dieser Strecke ihren Namen gegeben haben und gehen kurz darauf wieder schlafen.

Im Streiflicht der aufgehenden Sonne lassen sich die Spuren der Geschehnisse der letzten Nacht sehr gut verfolgen und wir erkennen auf der weiteren Fahrt immer wieder die frischen Tracks des Autos, welches uns nachts aufgeschreckt hatte. Mit dem blockförmig in die Höhe ragenden Gara Debanet erreichen wir den Berg, der für uns das Tor in die berühmte Felsenwelt des Youf Aghal und Youf Ehakit darstellt.

Sand und Stein in Vollendung !! Die Etappe in den Bergen, mit Aussicht auf die Basaltdome von Youf Ehakit (Hintergrund), bleibt uns für lange Zeit in Erinnerung.

Schon mehren sich die Abdrücke touristischer und anderer Reifenprofile und wir tauchen in die uns bislang nur aus Bildern bekannte Landschaft ein. Gigantische Felsformationen, Basaltschlote und Steintore in einer uns bislang nicht bekannten Häufung säumen den Weg durch das Felsenlabyrinth. Zwei Tage lang verbringen wir in dieser traumhaften Landschaft, finden ausgetrocknete Gueltas auf der immerwährenden Suche nach Wasser und erkunden steinige Wadis nach einem Durchstieg aus den pyramidenartigen Gesteinsriegeln, welche sich auf einer Grundfläche von ca. 900 Quadratkilometern auftürmen. Abends lagern wir an exponierten Plätzchen zwischen den Felsen mit grandiosen Ausblicken auf die erodierten Formationen. Für passionierte Kletterer muss diese Gegend ein El Dorado sein. Wir beschränken uns mangels Ausrüstung und dem latenten Verletzungsrisiko auf ausgedehnte Wanderungen in den Felsengängen. Im Verlauf einer dieser Exkursionen finden wir ein Benzindepot in einem verlassenen Versteck. Mehrere Fässer türmen sich in einer nicht einsehbaren Ecke einer ovalen Felsenöffnung. Gleich daneben, kaum einsehbar, ist ausreichend Schutz für ein Geländefahrzeug. Ich inspiziere die Fässer und den Innenraum des höhlenartigen Gebildes. Hierbei stelle ich fest, dass die vorhandenen Fuß- und Reifenspuren nur wenige Stunden, höchstens jedoch einen Tag alt sein können. Aus Vorsicht vor einer neuerlichen Begegnung mit Schmugglern verlassen wir diesen Ort und schlagen mit 150 Grad einen neuen Kurs ein.

Hinter uns thronen letztmals auf dieser Reise die Basaltdome des Youf Ehakit in den Himmel, während wir mit fast 100 km/h über die anschliessenden weiten Ebenen Richtung nigrische Grenze fahren. Der Sand- und Reguntergrund lässt diese flotte Fahrt zu; auf der Ebene werden kleinste Erhebungen durch visuelle Täuschung riesengroß. Einmal erblicken wir einige Kilometer voraus ein stehendes Fahrzeug. Langsam und vorsichtig nähern wir uns dem Vehikel, denn gerade in dieser Region, keine Tagesreise vom immer noch rebellischen Air-Gebirges entfernt muss man immer mit weniger willkommenen Besuch rechnen. Beim Näherkommen stellt sich dann heraus, dass das angepeilte Fahrzeug ein leeres verbeultes Benzinfass ist, welches seit Jahren auf der Ebene liegt und sicherlich schon so manchen Afrikafahrer getäuscht hatte.

Man kommt sich vor wie in einem Labyrinth, geschaffen für Riesen, durch welches man sich mit seinem Spielzeugauto hindurchschlängelt. Hier eine kleine und schwer zu findende Passage am Gara Debanet.

Den Brunnen von In Ebeggi, nahezu auf jeder Afrikakarte verzeichnet, finden wir zunächst nicht. An der angepeilten Stelle jedoch bündeln sich wie von Geisterhand die Spuren aus allen Richtungen und bilden eine kleine Trasse, welche nach Süden dem breiten Oued Tagrera folgt. Schon bald fallen uns die ersten Steinpilze auf, welche entlang des sandigen Oueds aus dem Boden schiessen. Von Mannshoch bis zur Größe eines mehrstöckigen Hauses, manchmal sogar mit schirmförmigen Deckel wie ein Champignon, säumen diese von der Erosion geformten Gebilde Ufer und Hinterland. Eine Sackgasse führt uns in eine steinige Schlucht, in welcher wir Giraffengravuren und steinzeitliche Felsmalereien an den glattgeschliffenen Wänden erblicken. Am Talausgang steht ein überdimensionaler Elefant aus Stein und bewacht den nicht ganz unerheblichen Besucherstrom, der anhand der unzähligen Fahrzeugspuren anzunehmen ist. Das Oued selbst ist an verschiedenen Stellen übersäht mit Kolonquinten, sogenannten Bitterkürbissen, die durch verschnörkelte Stiele miteinander verkettet herumliegen. Wir sammeln ein gutes Dutzend der getrockneten „Bocciakugeln“ auf und deponieren sie stoßgeschützt im Fahrzeug. Im Schatten eines Felsüberhanges auf der anderen Seite des breiten Wadis schlagen wir unser Nachlager auf und geniessen diesen milden Abend mit  Gebäck und auf dem Lagerfeuer zubereiteten Tee.

Einer Empfehlung zufolge verlassen wir am nächsten Morgen das Oued Tagrera nicht auf dem gewohnten Weg, sondern suchen uns einen Durchstieg durch die immer näher zusammenrückenden Felsen nach Westen. Hierbei entdecken wir ein arenaartig aufgebautes Felsengebilde, welches sich von den hunderten von Felstürmen und –pilzen abhebt. Ich betrete dieses nach oben fast geschlossene Kolosseum durch den Hauptbogen und drehe schon nach wenigen Metern wieder um: unzählige Fliegen stürzen sich auf mich, als wenn sie geradezu auf den nächsten Besucher gewartet hatten. Ein letzter kurzer Blick ins Innere der Felsen verrät den Grund der Ansammlung von Insekten. Überall Spuren von Kot und anderen menschlichen Exkrementen sind für die Masse von Tieren eine gerne angenommene Nahrungsquelle. Scheinbar dient dieser Raum in der fliegenfreien Zeit den vorbeikommenden Touristen und Einheimischen als willkommener Lagerplatz.
Nach einer trialartigen Passage, vorbei an einem letzten imposanten Vulkan mit abgesprengter Spitze finden wir uns schon bald im Oued Igharhar wieder. Dieses über 100 Meter breite, sandige Flussbett zieht sich von hier durch gesamt Süd- und Zentralalgerien. Kleinere Relikte wie Pfeilspitzen und Faustkeile auf dem weiteren Weg nach Norden belegen, dass hier vor Jahrtausenden ein reges menschliches Treiben vonstatten gegangen sein muss. Wir wechseln den Flusslauf und folgen nun einem baum- und buschbestandenen Wadi. In Bir Tanout erreichen wir nach knapp 1200 km Fahrt erstmals wieder einen wasserführenden Brunnen, kurz bevor wir wieder in die Zivilisation eintreten.

Das Hoggargebirge begrüßt  uns mit einer trassierten Piste entlang der südlichen Ausläufer der Berge. Auf üblem Wellblech kämpfen wir uns Richtung Tamanrasset, nicht aber ohne das letzte Highlight, den Wasserfall von Tamakrest zu besuchen. Das uns als fließendes, gueltadurchzogenes Bachbett beschriebene Tal entpuppt sich als Rinnsal zwischen den Felsen. Eine kleine Tuaregfamilie lagert an den letzten wasserführenden Stellen und tränkt ihre Ziegenherde. Auch wir machen eine Mittagsrast und ziehen dann in freudiger Erwartung kühler Getränke in der nahen Stadt weiter. Wenig später fordert dann die stark befahrene und in schlechtem Zustand befindliche Piste ihren Tribut. Der Simmering des hinteren Antriebsstranges kann den ständigen Lastwechseln auf diesem Untergrund nicht mehr standhalten und wird undicht. Obgleich die Ölmenge im Differenzial der Hinterachse ständig sinkt, schleppen wir uns die gemeinsamen Kräfte vereinend bis in die erste Werkstatt der Metropole Tamanrasset. Algeriens südlichste Stadt zählt nach verschiedenen Umsiedlungen mittlerweile gut 80.000 Einwohner und droht aus den Nähten zu platzen. Entsprechend gefüllt sind die Straßen und Plätze. Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen, Araber, Mozabiten, Europäer und besonders die zahlreich vertretenen Tuaregstämme bestimmen das Stadtbild.

Felsenpilze im Oued Tagrera

Dazwischen entdecken wir den einen oder anderen Touristen, der mittels Direktflug von Europa aus angereist ist, um sich von der faszinierenden Landschaft des Hoggars verzaubern zu lassen. Die ständige Militär- und Polizeipräsenz vermittelt uns Sicherheit und wir finden schnell einen Stellplatz auf einem der örtlichen Campingplätze. Hier geniessen wir in arabischer Umgebung die nächsten Tage mit europäischem Komfort, nicht aber ohne uns die feinen Hähnchen mit Pommes Frites auf dem Hauptmarkt entgehen zu lassen. Ziemlich entspannt bereiten wir uns auf die nächste Etappe in das nördliche Hoggargebirge und weiter durch die hieran anschliessende Bergwelt des Teffedest vor. Aber das ist wieder eine andere Geschichte...


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